Die folgenden Beispiele stammen (naturgemäß) aus der Alltagspraxis des vollautomatischen Publishing. Für einen halbmanuellen Prozess wären sie überwiegend entweder gar nicht machbar, zu aufwändig oder nur mit Qualitätseinbußen zu realisieren (indem man den halbmanuellen Prozess durch ein heuristisch angenähertes, nicht druckfertiges Vorschaudokument
simuliert).
Es wird jeweils der Prozess bei Vollautomatisierung und 99%-Automatisierung gegenübergestellt. Bei der Aufwandskalkulation wird nur der Aufwand der Erstellung des Dokuments von der Datenquelle zum PDF berücksichtigt. Aufwand für Datenpflege, Administration oder Druckvorstufe tritt für alle Automatisierungsgrade gleichermaßen auf und trägt daher nicht zur Unterscheidung bei.
Aufwand 99% Automatisierung:
Angenommen, aufgrund der Corporate-Design-Anforderungen dauert das Anpassen und Umlayouten einer Seite als rein manueller Prozess im Durchschnitt eine Stunde. Nach Adam Riese ergibt das für 10.000 Seiten bei 99% Aufwands-Einsparung
10.000 × 0,01 = 100 Stunden ~ 12,5 Personentage
Konsequenz:
Ein solcher unerwarteter Zusatzaufwand kurz vor Drucklegung ist der Alptraum jedes Projektleiters. Typischerweise kann ein Drucktermin absolut nicht verschoben werden. Wahrscheinlich wird man versuchen, Kompromisse zu finden, um nicht alle Seiten neu umbrechen zu müssen, auf Kosten der Designqualität und der Druckkosten (weil weniger Seiten gespart werden).
Fallbeispiel 3: Mobile First Strategie
Szenario:
Beim Relaunch der Unternehmenswebsite wird mit viel Aufwand ein maßgeschneidertes CMS aufgebaut. Inhalte wie Textbausteine und Bilder werden medienneutral mehrsprachig gepflegt und zu Modulen kombiniert, die wiederum als Baustein (z.B. Produktvorteil) in der Darstellung vieler Produkte auf der Website auftauchen können.
Module sind mit Layouttemplates verknüpft, die die responsive Darstellung und das interaktive Verhalten der Inhalte auf der Website bestimmen.
Sobald Inhalte gepflegt und freigegeben werden, wird die gesamte Website vollautomatisch neu veröffentlicht – wer würde schon auf die Idee kommen, hier die generierte HTML-Darstellung manuell nachzubearbeiten?
Aber was ist mit den gedruckten Produktinformationen? Die sind noch auf dem alten Stand, erstellt mit einer Textverarbeitung. Von all den neu gepflegten Inhalten und besonders den vielen Bildern keine Spur. Dem neuen, frischen Design der Website hinkt die Gestaltung um Äonen hinterher.
Herausforderung:
Bloß keine redundante Pflege! Die Strategie ist klar: mobile und web first. Das neu erstellte CMS ist das führende System, das Design soll einheitlich sein. Die gedruckten Produktinformationen müssen folgen, sollen aber nicht zum Hindernis werden, und vor allem nicht zur Kostenfalle für Satzdienstleistungen.
Die gedruckten Produktinformationen müssen somit aus dem Content im CMS entstehen: den Layouttemplates werden entsprechende (natürlich nicht dynamische) Layoutvorlagen, passend für gedruckte Dokumente, zugeordnet, und die Inhalte der Webdarstellung eines Produkts werden zu einem Produktblatt kombiniert.
Dabei soll das gedruckte Produktblatt natürlich nicht schlechter aussehen als die neue Website: um den responsiven Layouttemplates aus dem Web nahe zu kommen, sind Gestaltungsraster, Mehrspaltensatz, die Integration eines hohen Anteils großflächiger Bilder, Seitenausgleich und ausgefeilte Seitenumbruch- und Weißraumregeln eine selbstverständliche Anforderung.
Damit die Produktblätter nicht veralten, sollen sie bei jeder Neupublikation der Website ebenfalls mit aktuellem Inhalt neu erstellt werden.
Volumen:
Jedes der 20.000 Produktblätter in 10 Sprachen hat ca. 10 Seiten. Da man bei der Pflege der Inhalte im CMS davon ausgehen muss, dass sich überall etwas ändern kann, sollen sämtliche ca. 200.000
Seiten bei jeder Neupublikation der Website neu erstellt werden.
Aufwand Vollautomatisierung:
0; der Prozess zur erneuten druckfertigen Erzeugung sämtlicher Produktblätter läuft nach Neupublikation der Website automatisiert in wenigen Stunden durch.
Aufwand 99% Automatisierung:
Dieses Szenario ist wohl nur mit Vollautomatisierung zu bewältigen.
Konsequenz:
Ein Musterbeispiel für die digitale Transformation im Marketing. Das Augenmerk und die Ressourcen richten sich auf elektronische Medien, die Darstellung auf Mobilgeräten und im Web. Printpublikationen bleiben im ersten Schritt links liegen. Im zweiten Schritt sollen sie sich aber nicht zum führenden Medium oder gar zum Kostentreiber aufspielen, sondern ihrer neuen Rolle als untergeordnetes Medium gerecht werden. Das bedeutet, sich in die für den online-Bereich entwickelten Systeme und Prozesse einzufügen, ohne Redundanzen oder Medienbrüche.
Gleichzeitig soll aber auch die Qualität nicht leiden. Schlechter als die Website sollen gedruckte Produktinformationsn sicher nicht aussehen.
Das bedeutet, das meist umfangreiche Bildmaterial, die mehrsprachigen Texte, Diagramme oder Tabellen, die für das Web entwickelt wurden, sollen sich in ansprechendem, für ein Druckwerk angemessenem Design im Printmedium wiederfinden. Das Resultat einer naiven Transformation von HTML nach PDF erfüllt diese Anforderung sicher nicht.
Dies ist ein perfekter Anwendungsfall für das vollautomatische Publizieren: effizient, kostengünstig und bei regelbasiertem Prinzip leistungsfähig genug, um responsive Web-Layouts in adäquates, optimiertes Print-Seitenlayout umzusetzen.
Fallbeispiel 4: Mandantenfähige Preisliste
Szenario:
Hersteller H produziert konfigurierbare Produkte, die in vielen Qualitäten und Varianten hergestellt und damit auch zu unterschiedlichen Preisen und Margen angeboten werden können. Mandant M vertreibt die Produkte und wählt frei sein Angebot, Rabatte und Preise. Kunde K erhält von M eine auf ihn zugeschnittene Preisliste mit individueller Produktauswahl und maßgeschneiderten Preisen.
Volumen:
Eine Preisliste hat ca. 100 Seiten. Etwa 20 Mandanten produzieren pro Monat je etwa 4 aktuelle Preislisten für verschiedene Kunden. Es ergibt sich ein Volumen von ca. 96.000
publizierten Seiten pro Jahr.
Herausforderung:
H und M sollen zusammen mit einem Druckdienstleister D in einem Online-Portal arbeiten. H pflegt die Stammdaten der Produkte und die Nettopreise für die verschiedenen Varianten. M pflegt sein Produktprogramm sowie die Rabatte für einzelne Kunden. Preislisten werden bestellt, als PDF erzeugt und von D sofort digital gedruckt, gebunden und verschickt.
Um der hohen Qualität und Wertigkeit der Produkte Rechnung zu tragen, soll die Preisliste einen hochwertigen, ansprechenden Eindruck vermitteln. Viele großflächige Produkt- und Projektbilder, ausführliche Einleitungstexte, Infokästen und komplexe Preistabellen müssen unter Vermeidung von Weißraum auf den Seiten angeordnet werden. Dabei sind vielfältige Regeln für optimale Seitenumbrüche zu beachten.
Aufwand Vollautomatisierung:
0; sobald M eine Bestellung für eine Preisliste aufgibt, wird diese in wenigen Minuten automatisch erzeugt und an D weitergeleitet.
Aufwand 99% Automatisierung:
In diesem Szenario hat eine manuelle Bearbeitung von Dokumenten keinen Platz.
Konsequenz:
Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche digitale Transformation im Publishing. Drei Parteien arbeiten, unterstützt durch ein Online-Portal, effizient zusammen, um dem Kunden ein optimales personalisiertes Printprodukt zur Verfügung zu stellen.
Durch das vollautomatische Publishing wird die eigentliche Dokumenterstellung zu einem automatisch im Hintergrund ablaufenden Prozessschritt, für den weder bei H, M noch D Spezialwissen oder lizenzpflichtige Software vorhanden sein müssen.
Fallbeispiel 5: Continuous Integration Clearing Katalog
Szenario:
Im Zuge der digitalen Transformation halten viele Methoden des agilen Projektmanagements und der Softwareentwicklung auch im Marketing Einzug. Continuous Integration ist eine Vorgehensweise aus der Softwareentwicklung, bei der regelmäßig alle aktuellen Entwicklungsstände der beteiligten Entwickler eines Software-Projekts integriert und automatisiert ein lauffähiger Prototyp der sich in Entwicklung befindlichen Software erzeugt wird. So werden Inkompatibilitäten und Fehler früh aufgedeckt und man vermeidet die ansonsten in der Software-Entwicklung bekannten langen Integrationsphasen, bei denen verschiedene separat entwickelte Komponenten zusammen „zum Laufen gebracht“ werden müssen.
Diese Methode lässt sich unmittelbar auf die datenbasierte Erstellung eines Hauptkatalogs übertragen. Eine Vielzahl von Personen erstellt separat die Inhalte und pflegt sie in eine zentrale Datenbasis ein (z.B. PIM-System). Erstellen und Einpflegen von Texten, Übersetzungen, Bildern, technischen Daten, Messdaten, Maßzeichnungen, Diagrammen usw., sowohl für Neuheiten als auch die Überarbeitung von Bestandsartikeln, werden parallel in unterschiedlichen Rhythmen von verschiedenen Personen erledigt. Hinzu kommt die Strukturierung der Produkte in Produktgruppen und Untergruppen, Zuordnung von Zubehör, Verfügbarkeit in unterschiedlichen Regionen, und schließlich die Reihenfolge der Inhalte im Katalog, Marketingseiten und Imagetexte.
Der Prozess der Datenpflege und -strukturierung sowie der Katalogzusammenstellung wird enorm erleichtert, indem täglich ein Clearingkatalog erstellt wird, der den aktuellen Stand der Inhaltspflege und -strukturierung wiederspiegelt.
Herausforderung:
Täglich soll ein Clearingkatalog erstellt werden, der alle bis dahin erstellten und gepflegten Inhalte wiedergibt. Um ein authentisches Bild zu bekommen und einzelne Kapitel so früh wie möglich abschließen und freigeben zu können, soll der Katalog „druckreif“ sein, also vom Layout und Design 1:1 dem gedruckten Katalog entsprechen.
Designraster, Mehrspaltensatz, Weißraumkontrolle, Doppelseitenoptimierung und etliche Regeln für optimale Seitenumbrüche und Optimierung ganzer Seitenstrecken machen die Layout-Gestaltung zur Herkulesaufgabe.
Volumen:
Der fertige Katalog hat 1.000 Seiten und wird in 10 Sprachen mit Schwarzwechsel produziert (zwei Exemplare zu je 5 Sprachen). Letztlich werden also die Inhalte von 10.000
Seiten neu gestaltet.
Aufwand Vollautomatisierung:
0; der Prozess zur erneuten druckfertigen Erzeugung des Hauptkatalogs läuft über Nacht im Batchbetrieb durch.
Aufwand 99% Automatisierung:
In diesem Szenario hat eine manuelle Bearbeitung von Dokumenten keinen Platz.